Sonntag, 27. Juni 2010
problematisches Wiederaufleben der Religionen
Im Wilson-College traf ich mich mit Sudhakar, den ich damals vor 24 Jahren in Assisi getroffen hatte. Er ist Lehrer im Wilson-College und Christ. Er wusste von meiner Fragestellung und hatte gleich Mdm Sheherznaz R. Natwalle hinzugezogen. Die quirlige Power-Frau unterricht vergleichende Religionswissenschaften. Sie stellt eine starke Zunahme der Religiosität fest. Und zwar weltweit, womit sie sich vermutlich auf Berichte aus Nord- und Südamerika und den Nahen Osten bezieht. Diese Zunahme erlebt sie als sehr problematisch. Religion würde zum lifestyle, sie diene heute vorwiegend der Identitätsfindung und Gruppenbildung. Lifestyle, eigene Gruppe und Identität würden dabei nicht hinterfragt, sondern einfach nur übernommen. In ihren Klassen sei eine kritische Auseinandersetzung über diese Dinge nicht möglich. Im Unterschied zu den 70er und 80er Jahren bezeichne sich heute hier in Mumbai kaum ein Jugendlicher als Ungläubig. Interessanterweise hat Mdm Sheherznaz noch nie von Hans Küng und seinem Projekt gehört. Ich werde ihr bei Gelegenheit eines besorgen.
Interview mit Bharat R. Salenki

Von meinen Studien hier in Indien will ich nur am Rand berichten. Mein erstes Interview führte ich mit dem "Kollegen" Reverent Bharat R. Salenki von der Methodistischen Kirche. Er ist in meinem Alter, hat ebenfalls Familie und erlebt die gesellschaftlichen Veränderungen in Indien sehr positiv. Mit der Verwestlichung, die er grundsätzlich natürlich problematisch findet, gehe aber eine starke Öffnung einher. Die nutzt er, um neue Mitglieder für seine Kirche anzuwerben. Er betreibt keine offene Mission - aus Rücksicht auf die anderen Religionen -, fordert seine Mitglieder aber auf, aktiv auf Freunde und Nachbarn zuzugehen. In den letzten drei Jahren hat er fast 40 neue Mitglieder angeworben, unterrichtet und dann getauft.
Samstag, 26. Juni 2010
Sanjay Gandhi National Parc
Gestern habe ich mich einem Ausflug in den "Stadtpark" angeschlossen. Mitten in Mumbai liegt ein unberührtes Waldgebiet von 104 qkm (das entspricht einem Drittel der Fläche des Kt. Schaffhausens!). Das ist ein kleines Paradies mit Dschungel, versteckten Wasserfällen, alten Tempeln und vielen Tier- und Pflanzenarten. Die buddhistischen Tempel, zwischen 100 B.C. und 1000 A.C. in das harte Vulkangestein eingemeisselt, waren es denn, die in erster Linie meine Neugier weckten. Die zwei Tag zu siebt waren herrlich, nur die Nacht, typisch indisch improvisiert auf einer nackten Betonfläche von 6 m2, war grässlich. Schuld daran waren die Tausende von Moskitos... Das war der Preis für so viel Schönes, was ich sehen, hören und geniessen durfte: drei Affenarten (Bonnet- und Rhesus-Makaken von ganz nah, einen Lemuren von weitem), Landkrebse, eine Viper, prächtige Schmetterlinge, ganz viele Blüten und Vögel, deren Namen ich wieder vergessen habe. Einmal ist sogar ein Adler über uns geschwebt. Zwischendurch ha
Freitag, 25. Juni 2010
Monsun
In der Schweiz scheint jetzt endlich der Sommer mit den warmen Temperaturen gekommen zu sein. Hier in Mumbai leben wir mitten in der Regenzeit. Seit einer Woche fällt hier sehr viel Regen. Laut Zeitungsberichten ist in den letzten Tage mit 50 bis 80 cm (je nach Stadtteil) ein neuer 10-Jahres-Rekord erreicht worden. Es ist vorkommen, dass es nur kurz und dafür recht stark geregnet hat. Das ist dann wie wenn man unter einer starken Dusche steht, die man nicht abstellen kann. Ich habe aber auch schon ganze Halb- und sogar einmal einen ganzen Regentag erlebt. Zwischen den Regengüssen trocknet es sehr rasch wieder. Auf den Hütten sieht man Leute die Dächer wieder neu abdichten. An einem Abend sind wir mitten am Juhu-Beach in einen richtigen Monsunsturm geraten. So etwas habe ich höchstens auf Schiffen erlebt. Es war wie wenn wenn im Himmel Tausende von Wasserwerfern nach unten gerichtet wären. Dazu noch heftiger Sturmwind, geschätzte Windstärke 6 bis 7. Soviel Wasser kann nicht so rasch abfliessen. Sobald die Abläufe durch irgendwelchen Unrat - und davon liegen hier bergenweise herum - verstopft sind, staut sich das Wasser. Das höchste waren 20 cm, was ich gesehen habe. Das ist gefährlich, weil man unter Umständen dort ja durch muss und man nicht weiss, ob dort ein Loch oder gar eine Grube in der Strasse ist. Auch davon hat es eben viele. Baustellen werden hier selten gesichert, jeder ist für sich selber verantwortlich. Das Wasser selber ist sauber und warm - das Nass-Werden selber ist kein Problem. Viele Leute verzichten auch auf Schirm oder Regenschutz. Ich habe mir ein Paar neue "Chappels" (Sandalen) gekauft, die rutschfest sind und die problemlos nass werden können. Das Ausrutschen ist wohl das grösste Problem im Monsun. Die besseren Trottoirs sind mit einem sehr schönen und robusten Kunststeinbelag gepflästert. Leider wird dieser bei Nässe sehr rutschig. Alles in allem lieben die Inder aber den Regen. Erstens bedeutet der Regen Fruchtbarkeit: die Natur wird grün, an jeder Strassenecke werden die verschiedensten Früchte angeboten, man freut sich auf noch mehr Früchte in der Nach-Monsunzeit. Zweitens senkt der Regen die Temperaturen auf verträgliche ca. 30 Grad. Ich habe diese Nacht sogar ohne Fan geschlafen, die AC-s (Aircondition) sind ausgeschaltet. Und zum dritten wird die Stadt tüchtig gewaschen. In den besseren Orten geht es nur um den Staub, in den Einfahrtsstrasse und Slums geht es auch um die tierischen und menschlichen Fäkalien, die hier ein echtes Problem darstellen.
Mittwoch, 23. Juni 2010
Wie Gurus gemacht werden

Wegen ihm bin ich extra nach Shirdi gereist. In diesem bis dahin völlig unbedeutenden Ort etwa eine Tagesreise entfernt von Bombay soll er irgendwann Anfang des 20. Jhds. aufgetaucht sein. Niemand wusste woher er stammte. Nicht einmal seine Religion ist geklärt. Er hatte nichts und hatte auch nichts gegründet. Er half einfach wo es nötig war, er hatte für jeden das richtige Wort, heilte Kranke, setzte sich für Tiere und unterdrückte Menschen ein. Im Jahr 1918 starb er.
Saibaba ist heute der wichtigste Heilige weit und breit. In üblicher Überschwenglichkeit wird er sogar zum Gott erklärt. Gleich hier in Mumbai Andheri um die Ecke bin ich auf einen kleinen Tempel für Saibaba gestossen (siehe Bild). Überall stosse ich auf das Bild von Saibaba: in Hotelhallen, Shops, Taxis, Häusern usw. Viele Leute, die vorübergehen, übertragen den Segen vom Bildnis mit einer typischen Handbewegung auf sich selber. Nicht selten steht Saibaba in einer Linie neben Ganesha, Shiva, ja sogar von Jesus und Maria. Nach heutiger Auffassung soll das Bildnis von Saibaba die gleiche Wirkung wie der Heilige selber haben. Er gilt als Wundertäter, Heiliger, Tier- und Menschenfreund.
Die Verehrung hat ein paar interessante Aspekte. Zum steht der Heilige über den Religionen ("Sai" tönt hinduistisch, "baba" muslimisch), wirkt also integrativ. Zum zweiten gehörte der historische Saibaba (sein ursprünglicher Name ist unbekannt) zu den Armen, konnte keine Kastenzugehörigkeit vorweisen und erfuhr mal von Hindus, mal von Muslims Ablehnung. Arme Leute können sich mit ihm identifizieren. Zum dritten hinterliess Saibaba keine Reden, Schriften oder gar Dogmen. Die Verehrung wird einem also nicht allzu schwer gemacht. Und nicht zuletzt scheint die Saibaba-Verehrung von verschiedenen Seiten stark gefördert zu werden. Da ist der Ort Shirdi, da sind mächtige Geldgeber und nicht zuletzt passt der höchst unpolitische Saibaba sehr gut ins Konzept der Rechtsparteien.
Dienstag, 22. Juni 2010
Alkoholkonsum
Bei den meisten Gesellschaften in Indien ist das Trinken von Alkohol verpönt. Deshalb gibt es in Indien auch keine "Alkohol-Kultur". Mein Freund hier in Mumbai, Parvish, hat mich am ersten Tag mit in einen Shop genommen und sich von mir beraten lassen, damit er für die Alkoholika in seinem Kühlschrank und in seiner Bar die korrekten Gläser kaufen konnte. Bier (Kingfisher) und sehr guter Wein sowie verschiedene Sorten von Rum, Wodka usw. und natürlich Liköre werden sogar in Indien hergestellt. Das Trinken ist von Staat zu Staat anders geregelt. Hier im offenen Mumbai gilt, dass Bier erst ab 20 Jahren und stärkerer Alkohol erst ab 25 Jahren getrunken werden darf. Dazu benötigte man de jure eine Lizenz. Ob man die vom Doktor oder auf der Polizei erhält, weiss hier aber niemand... Das Alkoholtrinken findet in den eigenen vier Wänden oder auswärts in einem speziellen Restaurant statt, niemals aber öffentlich. In Shrirampur (Provinz) habe ich vorgestern mit Sunil, einem Primarschullehrer, Bier getrunken. Sein Vater darf das nicht erfahren und seine Ehepartnerin sieht das nicht gern.
Freiwilligenarbeit
Ziemlich spontan hatte ich die Möglichkeit, eine Gruppe von Freiwilligen ("volunteers") zu begleiten. In Shrirampur, einem kleinen Ort ca. 300 km südöstlich von Mumbai (wohin sich wohl noch kaum Nicht-Inder verirrt haben) gibt es eine Destillerie mit rund 1300 MitarbeiterInnen. Das sind Zuckerrohrbauern, Fahrer, Handwerker, Köche, Wachpersonal usw. - eine kleine Welt für sich. Die neue Leitung der Tilaknagar-Companie legt auf Sozial- und Umweltprojekt grossen Wert. Ich glaube, es geht dabei um die Sache und weniger ums Image (wer in Indien Alkohol trinkt achtet nicht aufs Image der Distillerie). Die Projekte sind eine Biogasproduktion aus "Kuhscheisse", Kompostierung, Grundwasserpflege sowie Aufforstung. Die Projekte laufen bestens, nun geht es darum, den Leuten zu vermitteln, weshalb man das eigentlich macht. Hier kommt die Freiwilligengruppe ins Spiel.
An einem Donnerstagabend haben sich 12 junge Frauen und Männer zusammengefunden, alles gut ausgebildete und modern gekleidete Stadtleute aus Mumbai. Nach vielen Verzörungen sind wir dann etwa um 1 Uhr nachts in zwei Vans aufgebrochen und nach 7 Stunden in Shrirampur angekommen. Um 9 startete das Programm. In einem jeweils dreiteiligen Kurs wurde Schulkindern, Eltern, Angestellten und Dorfleuten die Umweltprojekte erklärt. Das wiederholte sich am Nachmittag und noch zweimal am Samstag. In den zwei Tagen wurden etwa 300 Leute erreicht. Die meisten Freiwilligen waren das erste Mal dabei und kannten weder das Dorf noch die Projekte. Sie hatten sich mit einer 60-seitigen Dokumentation auf ihre Einsätze vorbereitet. Die Dokumentation wussten sie auswändig und konnten die Führungen auf Englisch, Hindi oder Marati halten. Für die Leute in Shrirampur galten sie offensichtlich als Experten auf ihrem Gebiet. Die Leitung der Gruppe bestand aus einem quirligen, jungen Professoren und einem Sekretär. Die Einsätze waren begleitet und wurden jeweils am spät am Abend gemeinsam ausgewertet. Für mich eindrücklich die Motivation der Volunteers. Sie erhalten eine gute Spesenentschädigung und hatten sehr viel Spass. Auf einen entsprechenden Aufruf von SPROUTS (das ist die Organisation, die im Auftrag von Tilarnagar-Corporation diese Arbeit macht) hatten sich etwa 40 Freiwillige gemeldet, von denen dann die 12 ausgewählt wurden. In der Nacht vom Samstag auf den Sonntag fuhr die Gruppe dann wieder eng zusammengepfercht in den zwei Vans die holprigen Strassen wieder zurück ins moderne Mumbai.
Das war der zweite Einsatz von SPROUTS. Der CEO von Distillerie (und deren Mutter!) war so begeistert, dass die Einsätze nun jedes Wochenende wiederholt werden, bis alle 1300 MitarbeiterInnen plus nochmals vielleicht 2000 Angehörige und Nachbarn wissen, weshalb man Wasser spart, Bäume pflanzt und Kuhdung sammelt.
Mittwoch, 16. Juni 2010
Wie beerdigen Hindus heute ihre Verstorbenen?
Seit zwei Tagen bin ich in Indien. Ich wohne für ein paar Tage bei einem Freund in Andheri, einem Stadtteil der 14-Millionenstadt Mumbai. Gestern hatte ich mich mit zwei Hindus übers Thema Beerdigungen unterhalten. Beide Männer führen ein modernes Leben, einer arbeitet als Lehrer, der andere in der Filmindustrie, beide leben allein. Der Körper eines Verstorbener wird traditionell in seiner Wohnung aufgebahrt, wo sich seine Angehörigen treffen. Dann wird der Körper kremiert, ein paar Tage später wird die Asche in einen Fluss (nach Möglichkeit der Ganges) beigesetzt. Er hier kommt ein Priester zum Einsatz. Dessen Gebet und Rituale sollen dem Verstorbenen die ewige Ruhe verschaffen und verhindern, dass er wieder geboren wird. Im Einzugsgebiet der heiligen Flüsse werden die Körper am Ufer selber verbrannt. Die Überreste werden vom Feuer direkt dem Wasser beigegeben. Infolge Mangels an Brennmaterial werden heute Leichen auch unverbrannt dem Wasser beigegeben. Einer meiner beiden Gesprächspartner ist sehr säkular (trotz brahmanischer Abstammung). Er und seine Geschwister verzichteten auf die Aufbahrung des Vaters. Sein Körper wurde direkt verbrannt und die Asche dann einem Fliessgewässer in Mumbai beigegeben. Die etwa einstündige Zeremonie des Priesters war aber auch für diese Familie selbstverständlich.
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