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Mittwoch, 7. Juli 2010

Freundliche Bürokratie

Indien löst sich langsam von der schwerfälligen Bürokratie, die es von den Engländern geerbt hatte. Auf Relikte von alten Strukturen stosse ich aber immer wieder. So fährt Parvish (Professor an einem College) während der "unterrichtsfreien" Zeit jeden Tag zum College, nur um seine Unterschrift in ein grosses Buch zu setzen. Als Beweis, dass er an diesem Tag gearbeitet hat. Mein bisher eindrücklichstes Erlebnis war in Chandigarh, die Stadt, die von Le Corbussier konzipiert worden ist. Der "Kopf" der Stadt besteht aus drei riesigen Gebäuden, jeweils vielleicht 10 Stockwerke hoch und architektonisch sehr schön gebaut. Das sind das Sekretariat (die Ministerien), das Parlament und das Höchste Gericht. Von Le Corbussier als offen zugängliche und sehr belebte Plätze gedacht, wird das Gelände nun grossräumig militärisch abgeriegelt. Man hat Angst vor terroristischen Anschlägen, nicht ganz zu Unrecht. Besichtigen kann man das aber trotzdem - mit den entsprechenden permits. Ein befreundeter Sikh wollte mir das Gebäude zeigen. Immerhin leitete er bis vor ein paar Jahren das offizielle Tourismus-Büro von Chandigarh, hat heute ein eigenes Reisebüro und verfügt nach wie vor hervorragende Kontakte. Von der zweiten Strassensperre wurden wir abgewiesen. Wir fuhren dann in die Stadt zurück ins Büro des Nachfolgers meines Führers. Nach einer halben Stunden Geplauder, ein paar Gläsern Tee und Fotokopien meines Passes erhielten wir - kostenlos - drei schriftliche permits, namentlich ausgestellt auf uns. Vermutlich ist das Ausstellen dieser permits eine der Hauptbeschäftigungen des Leiters des Fremdenverkehrsamts. Damit fuhren wir wieder zum Regierungsviertel zurück. Die Permits mussten wir dort in Badges austauschen, es war aber gerade Mittagspause. Nach einigen Diskussionen wurde das Besuchsprogramm dann umgestellt, sodass wir nicht länger warten mussten. Oder damit die Leute dort die Mittagspause ungestört verbringen konnten. Im Parlamentshaus, es war keine Session, wurden wir persönlich begleitet. Dann war die Mittagspause um . Für die Badges wurden wir fotografiert und ich musste nochmals meinen Pass zeigen. Damit gelangten wir bis vor das Gebäude. Dort wurden nochmals mein Pass mit dem Badge und mit dem permit verglichen. Dann wurden wir abgetastet und einem Soldaten in Uniform und modernen Waffen übergeben. Dieser führte uns nun nicht etwa direkt aufs Dach, von wo aus wir die schöne Aussicht geniessen sollten, sondern zunächst in den 6. Stock in eines der vielen Grossraumbüros. Das ist schlimmer als in jedem Film. Dort stehen eng beieinander antike Tische, auf denen sich Stapel von zerfledderten Dokumenten türmen. Dahinter Inder in Anzug und Cravatte. Eine AC hatte es nicht, dafür jede Menge Propeller, welche jedes nicht beschwerte Papier herumwirbeln. In der Mitte ein finster dreinblickendes Alphatier, das seinen Job kaum seiner Leistungen oder Kompetenzen gekriegt hat. In diesem Büro, alle sehr freundlich, mussten wir nochmals 20 Minuten sitzen, dieses Mal ohne Tee oder Wasser. Dann erhielt ich alle meine Dokumente wieder zurück und wir konnten endlich aufs Dach des Gebäudes. Die Aussicht war eher mittelmässig. Apropos: Alle Lifte hatten Liftboys, deren einzige Aufgabe das Drücken der Knöpfe ist...

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